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Zivi-Rundbrief für Juni 2008

Bericht Nr. 6

 

Es prasselt und rauscht, fließt und windet, dröhnt und donnert. Türen schlagen, schemenhafte Gestalten rennen geduckt durch Wasserwände. Aus Straßen werden Rinnsale, dann Bäche und schließlich umfließen brodelnde Flüsse die Mauern und Häuser. Der Geruch der feuchten Luft gleicht dem von Rohbauten und nach langer Zeit ist die Temperatur wieder unter 30 Grad gesunken. Durch Staubwinde und schwarzen Himmel angekündigt, bricht nach mehr als acht Monaten der erste richtige Regen über Ouagadougou herein. Welch eine Erleichterung für die staubbedeckten Pflanzen, welch Segen für die ausgetrocknete Landschaft. Die Lunge protestiert auch bei tiefem Luftholen nicht mehr und das Auge erfreut sich an frischem Grün.

Bedingt durch den Regen lässt auch endlich die Hitze nach. Mehr als 45°C im Schatten bei stehender Luft ließen die ganze Stadt ein paar Takte herunter schalten. Sogar „Cowboy“, der AMPO-Wachhund, verlegte seinen Lieblingsplatz in Johns und mein Büro, da in unserem Büro immerhin ein Ventilator die heiße Luft umeinander schaufelt.

Schaufeln müssen auch die Arbeiter für das erste und bisher einzige „Autobahn Kreuz“ in Burkina Faso, welches eigentlich schon im April hätte fertig sein sollen. Vor den Toren von „Ouaga 2000“ (siehe Bericht 2) verbindet es auf prestigeträchtige Weise die Ausfallstraße in Richtung Ghana mit der Allee zum Präsidentenpalast und dem „Circulair“, der großen Kreisstraße von Ouaga. Trotz der offensichtlichen Verschwendung von Geldern findet dieses Projekt auch Zuspruch, hat ja Ouaga jetzt auch die erste und bisher einzige Brücke mit darunter laufender Straße und sogar Beleuchtung in ganz Burkina. Da im Benutzen solch komplexer Verkehrsbauten ungewohnt, wird über das Fernsehen und in Zeitungen in ansprechenden Animationen und Bildern aufgeklärt, wie man dieses Monument zu nutzen hat, welche Abzweigungen wo hin führen.

Fernsehen, eine relativ beliebte Freizeitbeschäftigung in der Welt, ist ja eher eine passive Sache. Man sitzt vor der Kiste, schaut gebannt auf die bewegten Bilder und ab und zu springen alle auf, wenn ein Tor fällt beispielsweise oder der Schiedsrichter unfair pfeift – wow! Bei AMPO hatten wir nun das Glück, einmal auf die andre Seite der Mattscheibe zu gelangen, mit einem Auftritt bei „Planet Enfant“ (Planet der Kinder). Diese Sendung lädt einmal die Woche Schulen, Waisenhäuser oder ähnliche Einrichtungen ins Studio, wo dann immer nach gleichem Schema getanzt, geschauspielert und geredet wird. So wurden in den Wochen vor der Sendung eifrig Tänze und Sketsche einstudiert, Kostüme genäht und Text gelernt. Kurz vor dem großen Tag bekamen Kleider und Schuhe eine besonders gründliche Wäsche und die Frisuren wurden noch kunstvoller als gewöhnlich.

Wir hatten zwar keine Gelegenheit vor dem Auftritt im Studio zu üben, dennoch lief die Sendung bis auf kleinere Aussetzer super. Von traditionellem Tanz über Appelle gegen Aids und Aufklärungsstücke bis Hip Hop und einer Modeshow war alles dabei. Selbst die kleinen Kinder aus dem Hause MIA (ein Heim für verstoßene schwangere Mädchen und junge aidskranke Mütter) waren singend am Geschehen beteiligt. Nach gut zwei Stunden war dann alles im Kasten und mit dem Gefühl, einen guten Auftritt hingelegt zu haben, hieß es ab in die Vehikel und nach Hause.

Anscheinend war er aber nicht so ganz toll gewesen, jedenfalls wurden wir nochmal ins Studio gebeten, die Sendung wurde wiederholt. Also wieder die gleiche Prozedur, wenn auch mit deutlich weniger Elan und inzwischen abgebrüht von unserer reichhaltigen Erfahrung. Subjektiv betrachtet lief es dann auch schlechter als beim ersten Mal, lag es an der mickrigen Musikanlage, die bei den Tänzen kein Feeling aufkommen ließ, oder vielleicht an den häufigen Unterbrechungen (u.a. war das Band zu kurz)? Jedenfalls stiegen wir dieses Mal nach mehr als fünf Stunden müde und eher ernüchtert in die Autos.

Während in Europa bei vielen wohl keine größerer Wunsch besteht als ins Fernsehen zu kommen (siehe DSDS, Germanies Next Topmodel und so ein Kram) nahmen die Kinder ihren Auftritt eher gelassen, als er gesendet wurde, blieben manche lieber bei ihrem Fußballspiel oder gar auf ihren Schlafmatten.

Das Teuerungsproblem, inzwischen auch im europäischen Bewusstsein angekommen, ist hier gravierend. Ab einem gewissen Einkommen müssen manche Familien drei Viertel ihres Einkommens für Essen ausgeben. DREI VIERTEL. Hier ein paar Beispiele für die Steigerungen:

Produkt

Preis Mitte 2007

Preis Mai 2008

Grundnahrungsmittel

Reis (aus Thailand oder Vietnam) 1kg

0,38 €

0,68 €

Reis (aus Burkina) 1kg

0,60 €

0,90 €

Mais 1kg

0,15 €

0,20 €

Maniok 1kg

0,20 €

0,28 €

Maismehl (für das Nationalgericht Tô) 1kg

0,30 €

0,38 €

Weizenmehl

0,53 €

1,13 €

Kartoffeln 1kg

0,60 €

0,90 €

Gemüse

Bohnen (für das Nationalgericht Benga) 1kg

0,30 €

0,40 €

Grüne Bohnen 1kg

0,60 €

0,90 €

Auberginen 1kg

0,30 €

0,45 €

Tomaten 1kg

0,08 €

0,20 €

Zwiebeln 1kg

0,15 €

0,28 €

Fleisch/Fisch

Fleisch (Rind und Lamm) 1kg

2,63€

3,38 €

Fisch 1kg

0,90 €

1,35 €

Sonstiges

Wasser (Zum Trinken, Kochen, Waschen und Putzen) 100l

0,45 €

0,75 €

Spaghetti 250g-Packung

0,19 €

0,38 €

Öl 1l

0,90 €

1,50 €

Salz 1kg

0,15 €

0,38 €

Petroleum (für das einzige Licht) 1l

0,83€

1,13 €

Seife Stück

0,45 €

0,83 €

Holz 1kg

0,07 €

0,09 €

Eine durchschnittliche burkinische Familie hat im Jahr ca. 250 bis 350 Euro zur Verfügung. Eine burkinische Frau bekommt durchschnittlich sieben Kinder, es müssen also (ohne die Großeltern mit einzurechnen) neun Menschen mit weniger als einem Euro pro Tag auskommen. Dazu kommt eine Erhöhung der Schulgebühren um 15% im vergangenen Jahr. Wenn eine Familie ihre Kinder zumindest einige Jahr auf die Schule schicken kann, damit diese lesen und schreiben lernen, ist das schon ein wirkliches Glück.

Dennoch gibt es auch in Ouagadougou eine Universität mit ca. 35.000 Studierenden, darunter auch etwa 200 Deutschstudenten. (Warum jemand in Burkina deutsch studiert mit den zwei Möglichkeiten, entweder Lehrer zu werden oder nach Europa zu kommen, sei dahingestellt, vielleicht aus Liebe an der deutschen Grammatik?)

Jedenfalls ist es in Burkina nicht gerade leicht, an deutsche Literatur zu kommen und so gibt es jedes Jahr einen Büchertisch in der Universität, wo wir zu Gunsten von Babyoperationen die Bücher für wenig Geld an die Studenten verkaufen (AMPO finanziert etwa fünf bis sechs Operationen für Babys pro Monat, durch den Büchertisch kommt noch eine hinzu).

Um dem Stadtleben samt Staub und Lärm zu entfliehen, standen für Hannes und mich wieder einmal einige Tage Tond Tenga (die AMPO Farm/Internat) auf dem Programm. Auf TT steht seit neuestem ein überaus großzügiges Geschenk der Evers-Stiftung, ein Wasserturm mit einer Kapazität von 17.000 Litern und etwa 15m Höhe. Die Spitze dieses silbernen Dreibeins ist vor allem in den Abendstunden ein super Aussichtspunkt, von sanften Winden umweht reicht der Blick über ganz Ouaga.

Und Ouaga ist groß. Am Tage gleicht Ouaga einer riesigen Amöbe, die ihre Pseudopodien in die Landschaft streckt und Stück für Stück die baumbesetzte Savanne verschlingt. Bei Nacht hingegen ähnelt Ouaga eher einer Kleinstadt, da nur die wenigsten Viertel und Straßen beleuchtet sind. Da irgendwann auch Ouagagucken an Reiz verliert, machten wir uns mit den Jungs von TT an die Vorbereitung zum Maispflanzen. In Europa würde man jetzt an Traktor, Pflug und Egge denken, hier aber läuft das Ganze ein bisschen anders. Für jeden Samen wird mit einer kleinen Hacke ein eigenes Loch gegraben, mit Kompost gefüllt und wieder mit Erde bedeckt. Sobald der Kompost in die Erde eingebracht ist, graben Termiten Gänge zu der für sie überaus verlockenden Nahrung und bewirken zweierlei. Zum einen lockern die Gänge die Erde und erleichtern so Wasser und Wurzeln das Eindringen. Zum anderen sind ihre Ausscheidungen ein wertvoller Beitrag für die Qualität des Bodens. Reihe um Reihe wird so stundenlang mit gebeugtem Rücken unter der brennenden Sonne gescharrt und geschaufelt, bis das ganze Feld mit kleinen Dellen überzogen ist. Mit dem Beginn der Regenzeit wird dann die wertvolle Saat gepflanzt und mit Glück wächst aus jeder Grube eine Pflanze.

Warum diese Technik der Feldvorbereitung auch heute noch beibehalten wird, hat viele Gründe (Boden vielleicht zu hart für Hand- oder Tierpflug, sicherere Erfolgsaussichten bei individuellen Pflanzlöchern, Bodenschonung), aber soll es wirklich keine andre Möglichkeit geben? Wer weiß, vielleicht kommt Ihnen oder mir ja irgendwann eine zündende Idee.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine schönen Sommerbeginn, viele liebe Grüße aus Ouaga

Jonas

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