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ZIVI-Rundbrief: Bericht Nr. 2 aus Ouagadougou: Warum ich meine Hühner aß

Als ich am 15. Oktober mit einer dunklen Vorahnung meinen Reisepass aus meinem Rucksack hervorgeholt habe, stellte ich fest, dass mein Visum bereits zum 10. Oktober ausgelaufen war. Ganze 5 Tage hielt ich mich schon „illegal“ in Burkina Faso auf! Vieles wollte ich hier erleben, aber das sicherlich nicht!
Es erschien mir wie eine schlechte Parodie auf die Situation tausender Afrikaner die sich „illegal“ in Deutschland aufhalten. Mit 2 Besuchen in der „Division du Controle de la Migration“, der „Direction Generale de la Police Nationale“, sowie einem recht einseitigen Finanzstrom von etwa 20.000 CFA (30 Euro) zu Händen eines herrlich desinteressierten Beamten konnte ich mich aus dieser misslichen Lage befreien. Ich bin nun stolzer Besitzer eines Jahresvisums für dieses wunderschöne Land!

Bis Gestern war ich auch Besitzer einer kleinen Hühnerfamilie, die mich jeden Morgen zuverlässig um halb 5 geweckt hat. Mein Vermieter war damit allerdings nicht einverstanden, wahrscheinlich hatte mein Hahn nicht nur mich zu einem Frühaufsteher gemacht. Um mich weder mit meinen Nachbarn noch mit meinem Vermieter zu überwerfen, lösten wir das Problem noch am selben Abend recht elegant; ein leckeres Festessen (so eine persönliche Bindung zum Fleisch zahlt sich doch aus), zu dem ich 2 meiner Kollegen sowie Michael, unseren jetzigen Praktikanten eingeladen habe!

Morgens muss ich nun also auf meinen tierischen Wecker verzichten, schaffe es aber dennoch immer recht pünktlich aus dem Haus. Gegen halb 7 schwinge ich mich auf mein Moto und auf geht es zu AMPO, meinem Lebensmittelpunkt. Mein Weg dorthin führt mich 1,5 km lang auf einer für Ouaga typischen Sandpiste, welche vor allem durch Schlaglöcher und Multifunktionalität beeindruckt: Markt, Müllhalde, Parkplatz, Sandkiste, Auslauffläche für Hühner, Schafe und Ziegen sowie schlussendlich auch Straße, je nach dem was grade gebraucht wird! Wie praktisch, dass sich diese Straßen in der Regenzeit regelmäßig in kleinere Flüsse verwandeln, welche den Müll wie Abwasserkanäle von dannen tragen.

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Viele AMPO-Kinder kommen mir zu dieser Uhrzeit entgegen, die gespendeten Schulranzen aus Deutschland auf dem Rücken. Ihre Schule, das Lycée Bangré (das bedeutet Wissen auf More, der Sprache der Mossi), liegt nicht weit entfernt von meiner Wohnung. Hübsch sehen sie aus in ihrer Schuluniform, sie besteht aus einer grünen Hose sowie einem grüngemusterten Hemd, auf dem mehrfach das weiße Schulemblem abgebildet ist (Motto: Arbeit und Disziplin – Erfolg garantiert!).
In Deutschland gab es während meiner Schulzeit einige Momente, in denen ich eine einheitliche Schulkleidung vermisst habe; in Burkina hingegen ist sie Pflicht, aber für die oft kinderreichen Familien eine weitere, finanzielle Belastung- zusätzlich zum hohen Schulgeld. Etwa 8 000 CFA (12 €) kostet so eine Schuldress, die Gebühren für ein Schuljahr betragen je nach Klassenstufe zwischen 40 000 CFA (60 €) und 111 000 CFA (170 €). Ein Chauffeur verdient übrigens im Monat nur unwesentlich mehr als 50 000 CFA (75 €), hat aber durchschnittlich etwa 5 Kinder zu versorgen.
Doch ehrlich gesagt denke ich daran kaum, wenn ich allmorgendlich unsere Schützlinge auf ihrem Schulweg treffe. Vielmehr freue ich mich, in diese zumeist strahlenden Gesichter zu blicken- was könnte mich mehr für die kommenden Arbeitsstunden motivieren?

Angekommen im Büro drucke ich zuerst die Mails für Katrin aus, bereite einen kleinen Tagesplan vor und begebe mich dann zum Frühstücken in das „Café“ gegenüber von AMPO. In einem einfachen Bretterverschlag sitze ich neben einigen „Alten“ des Viertels, trinke meinen Café au Lait, welcher mit geübten Händen zubereitet wird. Aus gezuckertem Milchkonzentrat, einem Teelöffel Nescafé und heißem Wasser entsteht für kurze Zeit ein faszinierend-3-farbiges Getränk, ehe es nach dem umrühren die für Burkina typische Sandfarbe annimmt. Ein echtes Nationalgetränk also. Dazu gibt es meist ein Baguette, welches den Café ganz wunderbar aufsaugen kann- ich fühle mich jeden morgen an Taizé erinnert. (ein Kloster in Frankreich, an deren ökumenischen Jugendtreffen ich oft teilgenommen habe)

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Danach geht es mit Volldampf in Katrins Büro. Dort bekomme ich dann einige Arbeitsanweisungen, kurz und knapp erklärt, denn schließlich gibt es immer „mille choses à faire“ und das „tout de suite“. Kein Wunder, bei den vielen Kindern die von AMPO betreut werden.
Meine Aufgaben sind übrigens sehr vielfältig, sie reichen von kleineren Reparaturen, Übersetzungen, dem Anfertigen von Tabellen, Dokumentationen (eine Kamera befindet sich immer in meinem Rucksack), bis hin zur Organisation des Exports. Dafür müssen bei vorliegender Bestellung die Ateliers angesprochen, der Kostenvoranschlag überprüft, Geld für das Material vorgestreckt, Rechnungen eingesammelt, der Fortschritt kontrolliert und die Endprodukte eingepackt und abgeschickt werden. Natürlich muss auch eine Rechnung nach Deutschland gesendet und am Ende eine saubere Buchführung der Ein- und Ausgaben vorliegen. Ab nächster Woche werde ich anfangen, sonntags einen Deutsch- und Englischkurs für interessierte Kinder anzubieten. Auf den freue ich mich schon fast mehr als die Kinder!

Seitdem unsere Kinder Anfang Oktober wieder mit der Schule angefangen haben, hat sich die Atmosphäre tagsüber ein wenig verändert; Es ist stiller geworden, ich habe das Gefühl ein wenig stressfreier arbeiten zu können. Gleichzeitig ist es auch nicht komplett ruhig, vielmehr bekommt man das Gefühl, AMPO entblättert sich: Kindergeschrei überlagert nicht mehr alles, aus den zahlreichen Ateliers dringen typische Laute: Das Klappern der Webstühle, die Stichsäge der Behindertenwerkstatt und das Surren zahlreicher Nähmaschinen aus der Schneiderei sind nun hörbar. Mittags kehren die Kinder von der Schule zurück, nicht lange, nur zum Essen. Dann mach auch ich meine Mittagspause, von vielen wird diese Siesta eingehalten. Oft gehe ich ins neu eröffnete AMPO-Restaurant „Mam Dunia“ (Meine Welt). Dort genieße ich Lasagne oder Spaghetti von unserem Meisterkoch und seinen Schülerinnen. Ja, doch. Soviel Luxus leiste ich mir jeden Mittag.

Obwohl ich viel im Restaurant esse, wo alles hygienisch ist, war ich im letzten Monat oft krank. Zu gesund allerdings um wirklich ins Bett zu flüchten, zu schwach, um vernünftig zu arbeiten. Und dann fühle ich mich so nutzlos, spüre diesen Widerwillen gegen meine eigene Schwäche- Was wohl meine Kollegen von mir denken, wenn ich mich krank melde? Doch um deren Meinung muss ich mir keine Sorgen machen, alle sagen mir immer: „La santé avant tout“ (Die Gesundheit geht vor!).

In diesen Schwächeperioden, auch „fatigue tropicale“ (Tropenmüdigkeit) genannt, finde ich mehr Zeit zum nachdenken. Viele meiner Gedanken beschäftigen sich mit möglichen Studiengängen oder Lehren, die ich im nächsten Jahr anfangen möchte und für die es schon bald gilt, sich einzuschreiben; Einige Gedanken wandern auch nach Deutschland, Wehmut streift dann sanft mein Gemüt; bunte Blätter und laue Herbstabende- Jahreszeitenwechsel. Wikipedia schreibt sehr schön: „Wehmut bezeichnet ein Gefühl zarter Traurigkeit, hervorgerufen durch Erinnerung an Vergangenes. Bei wehmütigen Regungen werden nicht notwendig die gegenwärtigen Umstände gering geschätzt.“ So ist es.

Nach der Mittagspause gehe ich gekräftigt wieder an die Arbeit. Habe ich versucht, bis Mittags die Dinge für Katrin zu erledigen, so beschäftige ich mich nachmittags hauptsächlich mit den restlichen Aufgaben und bin froh wenn ich davon ein oder zwei streichen kann. Das beste Gefühl stellt sich bei mir ein, wenn ich am Ende des Tages zurückblickend sagen kann: Heute habe ich was geschafft! Den dafür notwendigen Sieg gegen den inneren Schweinehund habe ich zugegebenermaßen auch schon so manches mal verloren, doch das spornt mich nur an, am nächsten tag doppelt so viel zu arbeiten. Viele Arbeiten dauern zurzeit sicherlich auch noch doppelt so lang wie eigentlich nötig, doch so ist das in einem neuen System; es gilt sich zurecht zu finden. Aber Umwege verbessern die Ortskenntnis!

Oft bin ich total fasziniert von den Vorgängen der Natur, die sich hier ganz anders, mir scheint viel beeindruckender und intensiver zeigen. Besonders die heftigen Regenschauer sind jedes mal wieder ein Erlebnis: Oft kommen sie plötzlich am Spätnachmittag, schlagartig wird es kühl, Wind kommt auf. Die Menschen kennen dieses Zeichen und die Straßen werden leer. Der stärker werdende Wind wirbelt allerlei Sand und Staub auf, Plastiktüten werden hunderte von Metern durch die Luft getragen. Manchmal, grade zum Ende der Regenzeit hin bleibt es bei diesem beeindruckenden Schauspiel, welches den Himmel innerhalb von Minuten verdunkelt. Doch oft genug folgt danach ein nicht zu beschreibendes, tosend-ohrenbetäubendes Unwetter. Regentropfen scheinen dem lieben Gott hier unbekannt, Wasserwände und nichts weiter. Blitze erhellen die dunkle Szenerie und wenn man nicht grade unter einem Wellblechdach steht (was hier oft der Fall ist), hört man die lauten, kurz hintereinander hereinbrechenden Donnerschläge. Einfach wunderbar.

Abends fahre ich meist total erschöpft nach Hause und muss dennoch wachsam bleiben, der Verkehr in Ouaga ist mörderisch! Es herrscht Hauptverkehrszeit und es wimmelt nur so von überladenen LKWs, welche nicht anhalten, sondern anhalten lassen; viel zu schnellen Autos; großen Geländewagen gestresster Botschaftsmitarbeiter, Eselkarren, fahrbaren Verkaufsständen und einer unüberschaubaren Zahl, sich permanent in Bewegung befindlicher Motorräder, Mofas und Fahrräder, die mal nach links oder nach rechts ausscheren, und dennoch alle eine Fahrtrichtung einhalten und einem großen, gehetzten Fischschwarm gleichen.
Um nach Hause zu gelangen, überquere ich eine der Hauptverkehrsadern, den so genannten „circulaire“. (Dieser schließt übrigens ein paar Kilometer weiter an das erste Autobahnkreuz Burkina Fasos an.) Wenn ich mich grade noch auf den Mittelstreifen retten konnte, während hinter mir der überladende Laster aus Ghana vorbeidonnert und nach Vorne noch keine Lücke im dichtfließenden Verkehr zu erspähen ist, offenbart sich für mich oftmals noch eine andere Seite des Verkehrs. Eine Seite neben all dem Lärm, der Umweltverschmutzung und den vielen Verkehrsunfällen: Wenn man gut hinschaut, bemerkt man, dass jedes Mofa eine eigene Geschichte erzählt, zumindest Anlass für phantasievolle Geschichten gibt … die allermeisten Güter werden hier mit dem Mofa transportiert. In Deutschland wäre das vielleicht nicht anders, wenn sich nicht fast alle ein Auto leisten könnten, in dessen Kofferraum alles hinein geschmissen wird. So ist der Inhalt nicht nur gut verstaut, sondern auch gut vor allzu neugierigen Blicken, noch neugieriger Nachbarn geschützt. Fracht auf einem Mofa zu transportieren, ist hingegen schon eine echte Kunst (und die Burkinabé wahre Meister darin), doch sichtgeschützt ist dabei eher nichts. Und so stehe ich dort auf dem Mittelstreifen, bekomme den Mund vor lauter Staunen nicht mehr zu: 20 Gartenstühle fahren an mir vorbei, danach 2 Ventilatoren, festgehalten vom Beifahrer. Es folgt eine Tonne, welche sich bei näherer Betrachtung als Mann mit 30 Fahrradreifen um den Bauch zu erkennen gibt. Im halbdunkeln folgt ein Mofa, die 6 Meter lange Eisenstange auf der Schulter des Fahrers fällt mir nur rein zufällig auf. Ehe ich den circulaire überquere, erhasche ich noch einen Blick auf jene Sorte 2-Takter, die man mit 3 großen Kohlesäcken überladen hat und welche an der Ampel nicht stehen bleiben, aus Angst ohne Starthilfe nicht wieder loszukommen. Sogar eine junge Weißnase, beladen mit 2 Hühnern und 3 Waisenkindern, hat man angeblich schon durch die Straßen Ouagas fahren sehen. Ist das nicht unglaublich?

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Herzliche Grüße
Ihr Lukas Terwitte

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