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Zivirundbrief im März 2008

Bericht Nummer 5

Liebe Freunde und Verwandte, liebe Spenderinnen und Spender

Weihnachten, das Fest der Familie, mit ca. 400 Menschen bei über 25°C, einem Eselkarren für den Weihnachtsmann und nach der Feier unter anderem Hip Hop? Nicht nur für meinen Familienbesuch aus Deutschland eine interessante Erfahrung. Der Kontrast zwischen von Kerzenlicht beschienenen „Oh- Tannenbaum“ singenden Kindern, die danach Break-dancen war einfach kurios. Zwar steckte der Container mit den Geschenken aus Deutschland noch im Zoll fest und der Weihnachtsmann hatte „nur“ T-Shirts und Süßigkeiten zu vergeben, glücklichere Weihnachtskinder habe ich aber bisher nicht erlebt.

Dieses Fest setzte aber auch neben der täglichen Arbeit eine umfangreiche Vorbereitung voraus, und mein ständiges Pendeln zwischen meiner Familie und DER Familie forderte seinen Tribut, Malaria und eine Ohrenentzüdung waren die Folge. Trotzdem ging es anschließend mit meiner Familie in Urlaub nach Süden, Ghana versprach Erholung am Strand. Erholung war schlussendlich aber für alle Reisenden angesagt, 35 Stunden dauerte unsere Hinfahrt mit Bussen, Tro Tros (Kleinbusse, die mit bis zu 16 Passagieren voll gestopft werden) und Taxi.

Die Reisegesellschaft der Wahl in Bezug auf Sicherheit, Pünktlichkeit und Komfort ist STC, ein ehemaliges ghanaisches Staatsunternehmen. Leider hatte uns niemand vor der penetranten Radioberieselung und den unsäglichen Filmen in den Bussen gewarnt, die selbst das burkinische Fernsehprogramm (äußerst beliebt: schlecht synchronisierte südamerikanische Telenovelas) in den Schatten stellte. Der Inhalt reichte über den erhobenen Zeigefinger bis zu Diffamierung von Tradition, finanziert von christlichen Sekten, die hier ihre „Werte“ unters Volk bringen. Huh!

Erleichterung also auf allen Gesichtern, als wir endlich unseren Strand erblickten. Und was für ein Strand! Zwar war das Meer durch den Harmattan (Staubwind aus der Sahara) etwas bräunlich, aber der Rest vom Klischee stimmte. Weißer Strand, Palmen, die Fischer mit ihren pittoresken Booten, sensationelle Sonnenuntergänge und das Ganze mit frischen Kokosnüssen genossen, wow! Gigantisch der Kontrast zwischen der verstaubten, abgasgeschwängerten Luft aus Ouaga und der sanften Brise hier. Statt Häuser oder kahler Büsche eine Umgebung von grünen Pflanzen, Regenwald. Statt des Verkehrslärms das Rauschen der Wellen.

An diesen Unterschieden wurde aber wieder einmal deutlich, aus welchen Verhältnissen wir eigentlich stammen. Zwar ist auch Ghana kein reiches Land, aber Burkina steht nicht zu unrecht auf dem zweitletzten Platz des HDI (Human Developpment Index, er berücksichtigt Dinge wie Bildung, medizinische Versorgung, Ressourcen, Einkommen…). Und dann wir. Urlauber in der „Touristenanlage“, die sich kaum ein Einheimischer leisten kann, überhaupt ist Urlaub für viele ein Ding der Unmöglichkeit. Dennoch genoss ich diese 10 Tage Strand und Regenwald wie kaum einen anderen Urlaub davor. Da wir nicht die ganze Zeit am Strand verbringen konnten, unternahmen wir eine Tour auf dem Ankobra-River. Mit unseren Einbäumen ging es unter den Luftwurzeln von Mangroven dahin, im Uferschlamm hunderte schwarze Krabben, beschienen vom grünlichen Licht zwischen den Blättern, leises Gluckern und andere unbekannte Geräusche ringsherum, dazu ein Halt an einer selbstkonstruierten Destille für Kokosschnaps, Dschungel eben.

So vergingen drei interessante und schöne Wochen mit meiner Familie. Es war schon etwas ganz Besonderes, nach so langer Zeit meine Mutter und meinen Bruder wieder um mich zu haben.

In Ouaga stand die Zeit aber auch nicht still und für AMPO rückte ein großer Tag heran, die Eröffnung von Haus ALMA. Finanziert von der Familie Trienekens entstand ein weiteres, bitter benötigtes Heim für Mädchen/Frauen in schwierigen Situationen, was hier soviel heißt wie ohne Ehemann schwanger, leben mit HIV/Aids, von der Familie verstoßen… In Haus ALMA werden die Mädchen mit ihren Kindern betreut und versorgt, sie erhalten eine Ausbildung und im Falle einer HIV/Aidserkrankung auch antiretrovirale Medikamente.

Zwar dauerte die eigentliche Feier unter der Schirmherrschaft des deutschen Botschafters nur ca. zwei Stunden, aber die Organisation hierzu hielt AMPO mehr als zwei Wochen im Griff. Da müssen Einladungen designt, gedruckt, kontrolliert und nochmal gedruckt werden, Listen mit potentiellen Gästen erstellt und erfragt werden, ob die Leute überhaupt kommen; es müssen Stühle und ein Zelt gemietet, die Mikrophonanlage bestellt und aufgebaut werden. Das Protokoll muss stimmen, an die Sitze gehören Namensschildchen, wobei nie sicher ist ob z.B. der Minister XY vielleicht noch Begleiter mitbringt. Die Presse braucht einen Übersichtsplan und das Fernsehen wird bestellt. Einige Leute müssen abgeholt und zu ALMA gekarrt werden, das musikalische Programm muss stimmen, das Buffet und die Getränke bestellt und aufgebaut sein, bla bla bla. Für mich als Zivi haben derartige Anlässe dennoch auch eine interessante Seite, sind wohl selten die Wege so kurz wie in Burkina (wenn man das Glück hat bei AMPO zu arbeiten). Da plaudert man mit dem Botschafter, begrüßt VIPs aus Burkina und anderen Ländern, bekommt eine Einladung zum Besuch von unserem Außenminister Frank Walter Steinmeier, der für ganze sechs Stunden Burkina besuchen wird und genießt nebenbei die leckeren Häppchen unseres Küchenteams.

Das Treffen mit dem Minister musste ich leider absagen, das Zwischenseminar stand vor der Tür. Zu dem „Anderen Dienst im Ausland“, wie sich mein Zivildienst nennt, gehören ua. ein Vorbereitungs-, Zwischen- und Abschlussseminar. Organisiert werden diese in meinem Fall von „fid“, einem Anhängsel der „AGEH“ (Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe). Das Zwischenseminar für Westafrika findet traditionell in Ghana statt, so ging es für mich zum zweiten mal in Richtung Äquator, begleitet von den zwei SEWAs und noch einer Freiwilligen, die fast schon ein Jahr in Ouaga arbeitet.

Diesmal ging es nicht mit STC; STKF versprach uns ans Ziel zu bringen. Nun ja. In diesem Bus gab es fünf Plätze pro Reihe, die Sitze ließen sich nicht verstellen, manche Fensterscheiben fehlten, und wir mussten dreimal anhalten um den Bus fahrtüchtig zu halten. Interessant war zum Beispiel die Reparatur des Unterbodens mit Hilfe einer eben gefällten Astgabel… Immerhin blieben diesmal unsere Ohren und Augen von Radio und Fernsehen verschont und nach 17 Stunden erreichten wir Kumasi, von wo es dann auch wieder mit Tro Tro und Taxi nach Abetifi, unserem Tagungsort ging. Abetifi ist ein Dorf von ca. 8.000 Einwohnern und liegt idyllisch in den waldbedeckten Hügeln am Süd- Westende des Voltasees.

Wir waren bereits ein paar Tage vor Seminarbeginn losgefahren, einerseits um einen Zeitpuffer und andererseits noch Zeit für eine Wanderung an den nahen Voltasee (dem von der Oberfläche her größten Stausee der Welt) zu haben. Nach einer entspannten Nacht und leckerer Verköstigung packten wir Moskitodome (eine Art Zelt), eine Gitarre, Verpflegung und unsere Fotoausrüstung, fuhren in ein nahe gelegenes Dorf und stiefelten los. Entgegen unserer Hoffnungen von schattigen Pfaden führte unser Weg an den See über eine kahle Ebene, der man Buschbrände und exzessive Rodung deutlich ansah. Kaum ein Baum spendete uns noch Schatten vor der brennenden Sonne, der leichte Staubwind, eine verrostende Pipeline und die Skelette von alten Autos am Wegesrand schufen eine Art Endzeitstimmung. Da kam uns ein Leck in der beschriebenen Leitung gerade Recht, das hervor sprudelnde Wasser hatte eine kleine grüne Oase geschaffen. Endlich bekamen wir den See zu Gesicht und machten auf einem Felsblock Pause. Nach kurzer Zeit wurde unsere Ruhe von einem lauter werdenden Prasseln gestört, einem Buschfeuer. Die Feuer werden entweder von Jägern gelegt, die Kleinwild aus dem Busch treiben, oder entstehen auf „natürlichem“ Wege, z.B. durch weggeworfene Flaschen. In der Senke unterhalb dieses Blocks und oberhalb des Fischerdorfes am See schlugen wir unser Lager auf. In gerechter Arbeitsteilung ging ein Teil unserer Gruppe hinunter ins Dorf (kühles!) Bier holen und Jan (ein „Solar-Zivi“ aus Abstifi) und ich schlugen das Lager auf.

Wir hatten nicht genug Isomatten dabei, so führte ich das harte und vertrocknete Gras der Umgebung mit Hilfe eines Taschenmessers und einer gefundenen Machete seiner neuen Bestimmung als Matratze zu. Außerdem sammelten wir Holz, stellten die Dome auf und bauten eine Feuerstelle. Als wir die Umgebung erkundeten, stießen wir auf ein weiteres Leck in der Pipeline. Hier erlebten wir einen für uns positiven Aspekt von verschleppten Wartungsarbeiten und konnten uns den schwarzen Staub der Umgebung abwaschen. Schließlich verbrachten wir einen schönen Abend am Lagerfeuer mit Gitarrenklängen und reger Teilname der örtlichen Mückenpopulation. In Europa fragt man sich oft, was es hier eigentlich so zu trinken gibt. Der ein oder andere hat schon etwas von „Dolo“, Hirsebier, gehört (schmeckt scheußlich), oder von dem in Plastiksäcken verkauften Wasser. Die Wahrheit ist, in jedem noch so kleinen Dorf, egal wie abgeschieden, gibt es mindestens eine Bude, in der Cola Cola und Fanta verkauft werden, und auch verschiedene Guinness-Biere kann man allerorten antreffen. Am nächsten Morgen ging es dann schon wieder zurück und noch einen Tag später fing das Seminar an.

Von unseren Vorgängern hochgelobt waren wir Ouaga-Leute gespannt auf das Seminar, motiviert, mit Menschen in ähnlichen Situationen Erlebnisse und Erfahrungen auszutauschen, Blicke von Außen auf unsere Projekte und Situationen zu werfen und allgemein den Horizont zu erweitern. In kleinen Gruppen unter den „Zivis“ lief das auch super, nur von den Leitern waren wir enttäuscht. Menschen ohne wirkliche Afrika- erfahrung auf ein solches Seminar zu schicken rächte sich, allgemeine pädagogische Weisheiten waren hier leider größtenteils fehl am Platz. Trotzdem eine schöne Zeit, die Hannes, eine „Zivi“ aus dem Seminar und ich mit einem kurzen Badeurlaub am Bosoumtwi-See unterhalb von Kumasi abrundeten. Dieser See entstand vor ca. 1,5 Mio Jahren durch einen Meteoriten und hat die Form eines Kraters. Nur an einer Stelle führt eine Straße über die umliegenden Hügel zwischen dichtem Dschungel hinunter an den See zu einem Fischerdorf und dann weiter zu einer Bungalow-Anlage, wo wir zwei Nächte verbrachten. Eine Besonderheit des Sees ist der Glaube der ansässigen Menschen, dass in diesem See eine Gottheit wohnt, die kein Metall verträgt. So waren bis vor wenigen Jahren die einzigen Boote einfache Holzplanken ohne Aufbauten, die mit den Händen vorwärts gepaddelt wurden. Selbstversuche auf einem dieser äußerst wackligen Schwimmkörper führten beinahe immer zum Kentern.

Schon während des ganzen Ghanaaufenthaltes war uns der Harmattan bewusst, wie Nebel lag der Staub in der Luft (im Gegensatz zu Ouaga nur für das Auge störend). Hier am See war es, bedingt durch die Kraterform, besonders auffällig, das andere Ufer war nicht zu sehen. Nach drei schönen Tagen hieß es dann leider Ende der Reise, auf nach Kumasi und Heim. Der Bus sollte um 17 Uhr fahren, wir waren schon ein paar Stunden früher da um uns Kumasi noch ein wenig anzuschauen. Kumasi hat den größten Markt Westafrikas. Auf einer Fläche von elf Fußballfeldern (!) gibt es hier alles Erdenkliche zu kaufen. Von Schuhen aus alten Reifen über halbe Ziegen bis zu Handys reichte das Angebot. Aufgebaut ist das ganze in Form von Wellblechverschlägen, die etwa vier Meter in die Höhe reichen und zwischen denen enge Gänge liegen. Hier presst sich eine unglaubliche Menschenmenge hindurch. Was im Falle eines Feuers passieren würde, stellt man sich lieber nicht vor. Zurück am Busbahnhof wurde verkündet, der Bus kommt erst um halb elf (vor diesem Hintergrund dürften die Verspätungen der Deutschen Bundesbahn eher vernachlässigbar wirken), also nochmal fünf Stunden warten. Diese Zeit nutzten wir für den
Besuch von Jan, einem Zivi vom Zwischenseminar, der in Kumasi seinen Dienst leistet. Endlich im Bus hieß es leider gleich wieder aussteigen, Panne. Kein Problem, einfach noch eine Stunde gewartet und auf geht es Richtung Grenze. Dort dauerte es dann nochmal 180 Minuten und die Wahrheit lässt sich nicht mehr verschleiern: Grenzbeamte sind einfach die wichtigsten Personen auf unserer Erde. 37 Stunden dauerte es letztendlich, Ouaga hatte uns wieder und die auf der Reise gewonnene Erholung war auch fast wieder dahin.

Durch die Reise entgingen wir immerhin der Hochphase des Harmattan in Ouaga. In dieser Zeit verhindert der allgegenwärtige Staub Sichtweiten über 50 Meter und färbt das Duschwasser braun. Langsam merkt man auch wieder die Hitze. Tagsüber erreicht das Thermometer nun wieder mehr als 35°C und meine abendliche Stunde Sport mit Springseil und Klimmzugstange wird noch schweißtreibender als gewöhnlich. Gespannt bin ich auf den April, dann steigen die Temperaturen auf bis zu 47°C – und das erlebe ich alles freiwillig.

Seit einiger Zeit macht sich auch die in früheren Rundbriefen beschriebene schlechte Ernte bemerkbar, die Lebensmittelpreise steigen unaufhörlich und in der Innenstadt gab es diesbezüglich schon Demonstrationen und Schießereien, bei denen leider auch ein Auto von AMPO verbrannt wurde. Ich persönlich bekomme davon zum Glück nicht allzuviel mit, es muss sich also diesbezüglich niemand Sorgen um mich machen. Das Gefährlichste an Ouaga für Ausländer ist und bleibt der Verkehr.

Soviel also wieder von mir, wie immer sind Fragen willkommen.
Ich wünsche allen frohe Ostern und sende liebe Grüßen aus Ouaga,

Jonas

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